Markus und Fabian teilen sich eine Wohnung in Bozen. Und sie teilen die Leidenschaften, leidenschaftlich zu diskutieren und pointiert zu schreiben. In ihrer Küche wird über kompletten Nonsens genauso gerne diskutiert wie über die aktuelle Weltpolitik (nur gekocht wird dort nicht so oft). Ähnlich soll es in diesem Blog passieren.
Das Konzept: beide schreiben einmal pro Monat mit einer vorgegebenen Zeichenzahl ihre Meinung zu einem vorgegebenen Thema. Eine Woche nach Veröffentlichung wird abgerechnet: wer hat mit seinem Text mehr Views und Likes erreicht?
Der Verlierer muss den Müll runterbringen. Der Gewinner darf das Thema für den nächsten Monat bestimmen. Vorschläge dürfen natürlich auch von euch Lesern kommen.
Gute Unterhaltung beim „Battle of Blogs“!

Mittwoch, 1. Februar 2017

Warum ich nicht bei Amazon kaufe (Markus)


Verödete Innenstädte, arbeitslose Verkäuferinnen, aussterbende Geschäfte: Daran ist weder Angela Merkel schuld, noch „die Ausländer“, noch die SPD. Sondern Menschen wie Sie und ich, die gerne online shoppen.

Ich kenne Julia vor allem von den alljährlichen Faschingssitzungen der KGS – dem lustigsten Anlass, in mein Heimatdorf Schöllkrippen zu fahren. Manchmal sehe ich sie auch in der Lesekatze, dem Buchladen in meinem Heimatdorf. Dort kann man stöbern, sich von Julia und ihren Kolleginnen beraten lassen und schöne Bücher kaufen. Oder man bestellt im Online-Shop der Lesekatze und holt die Bücher in der Filiale ab. Oder man lässt sich die Bücher nach Hause liefern. Fast so wie bei Amazon. Nur in sympathisch*. 

Anders als Amazon organisieren die Damen von der Lesekatze auch kulturelle Veranstaltungen. Real-World und Face-to-Face und so. Von StandUp Lesung über Literaturwanderung bis FrauenLeseNacht. Es sind Veranstaltungen wie diese, die das Leben auf dem Land lebenswert machen. Wenn es schon kein Kino und keine Konzerthalle gibt, dann wenigstens einen irischen Krimiabend.

Schwimmbad und Sportplatz gibt es in meinem Heimatdorf auch – aber nur, weil es Unternehmen gibt, die Steuern zahlen. Und zwar dort, wo sie Umsatz machen. Amazon gehört da leider nicht dazu.

Viele Menschen kaufen Ihre Bücher und sonstigen Kram trotzdem lieber bei Amazon. Weil es so schön bequem ist. Und weil sie scheinbar viel Geld sparen (was bei Büchern ja überhaupt nicht zutrifft, Stichwort Buchpreisbindung). Und weil sie scheinbar Zeit sparen (wie oft sind Sie schon am Postschalter in der Schlange gestanden, um ein online bestelltes Päckchen abzuholen?). Und weil ihnen Datenschutz völlig schnuppe ist (haben Sie schonmal bei „Liste finden“ auf Amazon die Mailadressen von Freunden und Verwandten eingegeben?)**.

Wenn man seine Bücher und Klamotten und Damenbinden und Olivenöl und Funklautsprecher bei Amazon kauft, dann hat man zwar teilweise einen persönlichen Nutzen. Aber man trägt aktiv zur Verödung der Innenstädte bei. Und zu den nervigen Lieferfahrzeugen, die ständig die Fahrradspur vollparken. Man sorgt dafür, dass kleine Innenstadtgeschäfte durch gesichtslose Lagerhallen auf der grünen Wiese ersetzt werden. Und dafür, dass Verkäuferinnen und Schauwerbegestalter ihren Job verlieren. Dafür, dass Bücher und andere Produkte nur noch gerankt und vermessen und ausgewertet werden – und nicht mehr geliebt und geschätzt. Kurzum: Dafür, dass unser Sozialleben immer häufiger mit einem A beginnt. 

Die Konsumenten haben die Macht. Sie entscheiden, ob sich ein Einkaufszentrum rentiert und ob der kleine Laden um die Ecke überlebt. Ob wir unser Leben im Cyberspace verbringen wollen oder in einem attraktiven öffentlichen Raum. In Amerika mit seinen pervertierten großflächigen Einzelhandelsstrukturen betreibt Amazon mittlerweile sogar automatische Supermärkte, bei denen die Lebensmittel, die man in den Einkaufskorb legt, automatisch abgerechnet werden. Und alle Kassiererinnen arbeitslos sind. Andere finden das genial, ich finde das asozial. Wenn es in unserem Leben nur um eine algorithmisierte Rationalität ginge, dann könnten wir uns gleich durch Roboter substituieren lassen. 


Bevor ich mich zu sehr zum Moralapostel aufschwinge: Ich muss gestehen, dass ich mittlerweile selbst auch wieder einen Amazon-Account habe. „Audible“ ist einfach ein tolles Angebot für Hörbuch-Freunde, das noch niemand anders offeriert. 150.000 Hörbucher im Angebot, eines pro Monat im Abo: Einzigartig. Aber so wie dem „Kindle“ der sympathischere „Tolino“ gefolgt ist, wird „Audible“ vielleicht auch bald die „HörBar“ folgen, in der man  150.000 Hörbücher bestellen und mit einem Teil seiner Abogebühr einen Buchhändler seiner Wahl unterstützen kann

Das wäre eigentlich eine tolle Geschäftsidee. 

Aber soll bitte jemand anders gründen. Ich verbringe meine Freizeit lieber damit, Bücher zu lesen.

Bücher, die ich irgendwo gekauft habe.

Hauptsache nicht bei Amazon.


P. S.: Martin Schulz, ein gelernter Buchhändler, könnte der nächste deutsche Bundeskanzler werden. Können Sie sich einen gelernten Amazon-Algorithmen-Optimierer, der nur Zahlen und keine sozialen Kontakte kennt, als Kanzlerkandidat vorstellen?

* Selbstverständlich gibt es noch viele andere sympathische Amazon-Alternativen, z. B. die Osiandersche Buchhandlung, die Bücher klimaneutral per Lastenfahrrad ausliefert.

**Ok, ich gebe zu, das mit dem Datenschutz ist kein Argument. Den gibt es in der Dorf-Buchhandlung auch nicht. Wie schreibt Juli Zeh in Unterleuten so treffend: „Man musste nur ein handelsübliches Dorf besuchen, um zu verstehen, was der gläserne Mensch tatsächlich war.“ Unterleuten ist übrigens ein großartiges Buch – das man natürlich auch bei derLesekatzebestellen kann.

gesehen in: Istanbul

Warum ich gerne bei Amazon kaufe (Fabian)

Ich gehöre laut gängiger Definition wohl zur dunklen Seite der Gesellschaft. Und das nicht weil ich ab und zu mit dem Fahrrad ohne Licht fahre oder meinen Teebeutel samt Metallklammer in den Biomüll werfe.

Ich kaufe bei den bösen Jungs: nicht bei denen im Bahnhofspark – viel schlimmer! Artikel von A bis Z bieten sie an und in wenigen Jahren haben sie es geschafft, den Handel komplett umzukrempeln.

„Pfui!“ werdet ihr jetzt sagen. Amazon gefährde Arbeitsplätze und verdränge den wunderschönen, alten, traditionellen Handel. Und wie schön es doch sei, in einen klassischen Buchladen zu gehen und an klassischen Büchern zu riechen.

Es gibt viele Gründe, warum ich das anders sehe. Abgesehen davon, dass auch im schönen alten Handel mit sehr harten, kapitalistischen Bandagen gekämpft wird und es sehr viel weniger romantisch zugeht als so mancher glaubt gibt es sehr viele gute Argumente für e-Commerce im Allgemeinen und Amazon als einer seiner Speerspitzen.

Nostalgie oder Fortschritt?

Was die ach so gut riechenden Bücher betrifft: Ich habe noch niemanden kennengelernt, der ein Kindle gekauft hat und nachher auch nur einen Gedanken an die dicken Schwarten an Papier verschwendet hat (wo ein Megabyte Text noch 1000 Seiten benötigt und 3kg wiegt). Johannes Guttenberg hätte seine Bibel wohl kaum mit Druckerpressen hergestellt, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, sie auch in seinen Laptop zu tippen und über digitale Kanäle zu vermarkten.

Die Revolution und ihre Früchte

Sich gegen den Fortschritt zu stellen, weil er den Status quo gefährdet, das hat uns noch nie weitergebracht – und das hat auch noch nie funktioniert.

Kaufen wir beim kleinen Laden um die Ecke und bilden uns ein, dann bliebe alles so, wie in der guten alten Zeit? In dem Fall verzichten wir am besten auch auf automatisch gefertigte Güter wie PKWs, Fernseher oder Kühlschränke. Die Maschinen, die für ihre Herstellung verwendet wurden, haben Millionen von Menschen arbeitslos gemacht. Verwenden wir doch auch kein Online-Banking mehr und keine Geldautomaten – wir gefährden damit die Bankbeamten existentiell. Oder unsere Kleidung: am besten tragen wir nur noch Bekleidung die ein Schneider in Handarbeit gefertigt hat. Wir müssen nur sicher gehen, dass er keine Nähmaschine verwendet hat – diese hat nämlich mindestens einen Assistenten ersetzt.

All die Revolutionen der vergangenen Dekaden hatten ihre Schattenseiten, brachten neben Gewinnern auch Verlierer hervor. All diese Revolutionen haben aber auch dafür gesorgt, dass die heutige Mittelschicht viel besser lebt, als der Hochadel vor der 1. Industriellen Revolution. Von den Arbeitern ganz zu schweigen. Heutige Standards in Medizin, Mobilität, Kommunikation – all das wäre ohne die Amazons der Vergangenheit nicht möglich gewesen.

Die Revolution und ihre Feinde

An Lobbys, die aktuelle Veränderungen bekämpfen, mangelt es nicht. Verlage und Plattenlabels fürchten um ihre Vormachtstellung, ebenso wie es die Kirche tat, als der bereits zitierte Gutenberg die Bibel verbreitete. Und Brick-and-Mortar Einzelhandelsketten folgen entweder der Digitalisierung oder stellen sich gegen sie.

Wir können versuchen, die 4. Industrielle Revolution zu bekämpfen – aber abgesehen davon ob es überhaupt möglich ist: sinnvoll ist es nicht.

Die Revolution und ihre Chancen

Jede Revolution hatte ihre Zugpferde (Transatlantic Railway, Ford, Toyota etc.), die zunächst mal für sehr viel Verwirrung gesorgt haben. Zugleich haben sie aber dafür gesorgt, dass Kundenbedürfnisse besser gedeckt werden können, dass Grenzkosten sinken und mehr Menschen an Konsumprodukten teilhaben können. Dieses Mal wird es nicht anders sein. Man denke an das Potential des e-Commerce für die alternde Gesellschaft. Als Gegenpol für die Landflucht. Als Fanal dafür, dass man nicht zwanghaft in der Innenstadt der Hauptstadt wohnen muss, um dazuzugehören, um das konsumieren zu können wovon alle sprechen.

Klar, in einigen Branchen wird die zunehmende Digitalisierung Arbeitsplätze kosten. An anderer Stelle werden aber Arbeitsplätze entstehen, etwa im Projektmanagement, in der Logistik, im e-Kundendienst oder in neuen Anwendungsbereichen des digitalen Marketings um nur einige zu nennen. Oder, um das nicht zu vergessen, die Chancen für kleine, lokale Hersteller die ihre Produkte online vertreiben wollen. Amazon übernimmt - gegen Kommission - Lagerung, Vermarktung und Vertrieb. Eine gigantische Gelegenheit für jeden, vom Pantoffelschneider bis zum handwerklichen Möbelproduzenten – hier eröffnen sich für neue Welten.

Ein letzter Satz noch: Amazon, wie jedes privat organisierte Unternehmen, ist keine Gruppe von Philanthropen. Nichts was Jeff Bezos macht, geschieht aus Nächstenliebe. Aber auch utilitaristische Entscheidungen können sehr viel Sinnvolles bewegen und echte Win-Win Situationen kreieren. Es sind diese Entscheidungen die am Ursprung jeder Revolution standen.

Im diesen Sinne: Ich freue mich auf die Zukunft. Und ich kaufe gerne bei Amazon.