Markus und Fabian teilen sich eine Wohnung in Bozen. Und sie teilen die Leidenschaften, leidenschaftlich zu diskutieren und pointiert zu schreiben. In ihrer Küche wird über kompletten Nonsens genauso gerne diskutiert wie über die aktuelle Weltpolitik (nur gekocht wird dort nicht so oft). Ähnlich soll es in diesem Blog passieren.
Das Konzept: beide schreiben einmal pro Monat mit einer vorgegebenen Zeichenzahl ihre Meinung zu einem vorgegebenen Thema. Eine Woche nach Veröffentlichung wird abgerechnet: wer hat mit seinem Text mehr Views und Likes erreicht?
Der Verlierer muss den Müll runterbringen. Der Gewinner darf das Thema für den nächsten Monat bestimmen. Vorschläge dürfen natürlich auch von euch Lesern kommen.
Gute Unterhaltung beim „Battle of Blogs“!

Mittwoch, 14. Dezember 2016

2016, ein Jahr zum Vergessen? (Fabian)

Es schneidet nicht gut ab, das ablaufende Jahr 2016. Wir waren Zeugen des Brexits und des Terrorismus, sahen zu, wie Trump ins Amt und die AfD in die Landtage gewählt wurden, nahmen Abschied von zahlreichen Politikern (Obama, Hollande, Renzi, Cameron) und trauerten um Bud Spencer, Peter Lustig, Muhammad Ali, Prince und Fidel Castro.

Dazu kam die Krise in Syrien, der angebliche Putsch in der Türkei und die Wahl-Posse in Österreich. VW-Autos haben Abgasprobleme und Samsung-Akkus explodieren.
Gab es denn gar nichts Gutes im Jahr 2016? Als notorischer Optimist kann ich nicht umhin, auch auf die vielen positiven Aspekte des Jahres hinzuweisen – nicht selten wohnte in den letzten Krisen vielleicht ja auch der Keim der Hoffnung, aus dem Neues und Besseres wachsen kann.

Der Brexit zum Beispiel, der Europa in seinen Grundfesten erschüttert hat. Er hat der Bevölkerung des Kontinents gezeigt, dass die EU keine Selbstverständlichkeit ist. Dass die Mitgliedschaft einen Preis hat – aber auch einen Wert. Es ist klar geworden: Wir sind nicht gefangen in der EU, sondern wir dürfen diesen großen Dampfer mitsteuern. Zugegeben, er ist schwerfällig und energieraubend – aber er hat das Potential, verdammt weit zu kommen und das auch in unruhigen Gewässern.

Dann wären noch zwei weitere Wahlausgänge: in den USA (Trump) sowie in Sachsen-Anhalt (AfD als zweitstärkste Partei). In beiden Fällen haben die Protestwähler, die so gar nichts anfangen können mit der Politik der Hinterzimmer, der feinen Sonntagsreden, der Alternativlosigkeit, den Ausschlag gegeben. Es sollte nun klar sein, dass die Politik ihre Wähler nicht als lästiges Anhängsel sehen darf, um dessen Stimme man halt alle paar Jahre buhlen muss. Die Bürger, und seien sie noch so besorgt, sind die Basis der Politik.

Der Politiker muss natürlich nicht immer mit den Bürgern einer Meinung sein, er kann ihnen auch widersprechen – dafür muss er sich aber auf deren Ebene begeben und darf nicht von „oben herab“ auf sie einreden. Wenn die Politik diese Lektion gelernt hat, dann treibt der Keim der Hoffnung erste Blüten.

Kommen wir schließlich zum Referendum in Italien. Verfassungsreform verhindert, Renzi weg, Börsen nervös. Doch es hat auch gezeigt: Die Italiener interessieren sich für Politik. Jung und Alt haben sich mit dieser hochkomplexen Materie auseinandergesetzt, haben diskutiert, gestritten und schließlich gewählt. In überraschend hoher Zahl. Und mit überraschend großer Deutlichkeit. Ok, vielleicht war das Nein auch ein Nein zu Renzi, aber es war zugleich auch ein Nein zum Zentralismus, zu einer überhasteten Reform und zu einem Deal: Stabilität im Sinne der Finanzmärkte gegen Demokratie. Auf diese Einstellung kann man aufbauen.

Abschließend noch ein paar gute Sachen, die 2016 passiert sind, von denen aber keiner Notiz genommen hat:
• Der Tigerbestand ist um 22% gestiegen.
• Der Islamische Staat verliert Territorium an all seinen Fronten.
• Die Spenden der Ice-Bucket-Challenge führen zur Entdeckung des Gens, das für ALS verantwortlich ist.
• Der 3D-Druck von Keramik wurde erfunden.
• Leonardo di Caprio gewann (endlich) einen Oscar.

2016, ein Jahr zum Vergessen? (Markus)

Wenn man sich die Jahresrückblicke 2016 in den deutschsprachigen Medien so anschaut und durchliest, bekommt man den Eindruck, dass die Apokalypse kurz bevorsteht. So wie jedes Jahr.

Aber vielleicht war 2016 ja gar nicht soo schlimm? Und da meine ich jetzt nicht mein persönliches Jahr 2016 – das privat, beruflich und überhaupt großartig war – sondern durchaus auch die große Politik:

Die Klimakonferenz in Marrakesch? Wird in den Jahresrückblicken gerne ausgeblendet. Dabei könnte es im Rückblick einmal durchaus eine Rolle spielen, dass 2016 beschlossen wurde, dass fast 50 Staaten der Erde ihre Energieversorgung bis 2050 komplett auf Erneuerbare umstellen wollen.

Alexander van der Bellen, ein grüner Pro-Europäer, ist (sogar zweimal!) zum neuen Präsident von Österreich gewählt worden? Ist in der ganzen Hofer-Hysterie fast komplett untergegangen.

Ok, Großbritannien wird die EU verlassen – aber waren sie eigentlich jemals wirklich drinnen?

Ok, Polen und Ungarn haben Regierungen, von denen man dachte, dass es sie in der EU nicht mehr geben würde – aber das zeigt ja überhaupt erst, an welch hohes Niveau wir uns mittlerweile gewöhnt haben. Vor dreißig Jahren hätte man in Osteuropa noch gar keine Pressefreiheit einschränken können.

Ok, Mc‘Donald Duck Trump wird jetzt wirklich US-Präsident. Aber hey, dieses großartige Land hat zweimal George Bush überlebt, da wird es ja wohl auch einmal Donald Trump überleben. Nach George Bush kamen Bill Clinton respektive Barack Obama – da freut man sich doch schon richtig auf den nächsten demokratischen (im wahrsten Sinne des Wortes) US-Präsidenten. Oder US-Präsidentin (warum nicht Michelle Obama? Oder doch Claire Underwood?).

Ok, die AFD ist in Sachsen-Anhalt zur zweitstärksten Kraft geworden. Und SPD und CDU werden gemeinsam mit der heutigen Rentner-Generation und den heutigen Leitindustrien aussterben, wenn sie sich weiterhin nur um deren kurzfristige Interessen kümmern. Aber hat nicht der Aufstieg der AFD dazu geführt, dass im eingelullten Muttiland endlich wieder einmal über Politik debattiert und für wichtige Themen und nicht nur für Fußballländerspiele auf die Straße gegangen wird? Haben wir 30-jährigen, die wir unter Schröder und Fischer politisiert wurden, uns nicht jahrelang gewünscht, dass Politik wieder so spannend wird wie vor Merkel? Jetzt haben wir den Salat. Aber wir können ihn gemeinsam auslöffeln und durch schwierige Diskussionen und langwierige Überzeugungsarbeit zeigen, dass der rechte Weg nicht der Rechte ist.

Ok, Renzi hat das Referendum und Italien damit den wohl besten Regierungschef seit Jahrzehnten verloren. Aber die Art und Weise, wie interessiert und intensiv die durchaus komplexen Inhalte des Referendums im Vorfeld diskutiert wurden, haben meinen Glauben an die direkte Demokratie gestärkt. Und die Demokratie in Italien auch.

Ok, es gab 2016 grauenhafte Terroranschläge. Man hätte sich aus so schönen Städten wie Nizza und Istanbul positivere Nachrichten gewünscht als die von Terroranschlägen (und vom Amoklauf eines AFD-Sympathisanten in München hätte man sich gar keine Terroranschlag-Nachrichten gewünscht, aber die schnellste Push-Meldung ist eben doch wichtiger als ein Innehalten, bis man den Sachverhalt richtig einordnen kann). Jedes Terroropfer ist eines zu viel. Aber den hunderten Terroropfern stehen hunderttausende Opfer gegenüber, die jedes Jahr an den Folgen der Luftverschmutzung sterben. Und 2016, das Jahr des VW-Skandals, könnte im Rückblick als das Jahr gelten, in dem auch die europäischen Politiker und Autohersteller endlich aufgewacht sind und gemerkt haben, dass die Gesundheit der Menschen wichtiger ist als der kurzfristige Gewinn durch den Verkauf von Dieselmotoren. Stickoxide sind deutlich gefährlicher als Muslime. Das wussten wir in unserer akademischen Echokammer schon vorher, aber die Skandale des Jahres 2016 haben diese Erkenntnis einem breiten Publikum zugänglich gemacht.

Echokammer hätte das Wort des Jahres werden können. Postfaktisch ist es geworden. Wahrscheinlich auch dank Jan Böhmermann. Schön, dass es diesen Böhmermann gibt. Und dass er 2016 eine Staatskrise ausgelöst hat, die an Absurdität nicht zu überbieten war. Schön, dass es die ZDF Mediathek gibt, die uns unsere Lieblingssendungen schauen lässt, wann wir das wollen und nicht, wann es der Programmdirektor vorsieht. Schön, dass es Netflix gibt. Und Nextbike. Und Netzwerke. Schön, dass es immer mehr freies W-Lan gibt. Und ein allgemeines freies Wahlrecht. Auch wenn uns der Ausgang der Wahlen nicht immer schmeckt. Aber Geschmäcker sind verschieden.

Nach meinem Geschmack war 2016 gar nicht soo schlimm.